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Authentizität – die Herausforderung, die innere Wahrheit zu leben

Wenn ich ab und an innehalte und zurück blicke, kann ich sagen, dass ich den größten Teil meines Lebens an mir und dem was ich bin, fühle und von mir zeigen möchte, vorbei gelebt habe. Geprägt durch eine Kindheit, deren Devise es war, meinen Mitmenschen „höher zu achten, als mich selbst“, habe ich mich fast ausschließlich am Außen orientiert. Dies betraf fast alle Bereiche meines Lebens, angefangen vom Outfit bis hin zu meiner Berufswahl. Meine eigenen Bedürfnisse habe ich vor mir selbst verschlossen.

 

Orientierung im Außen

Wenn man in seiner Kindheit schon auf Anpassung und Konformität getrimmt wird, was spätestens im Schulalter beginnt, verschleiert sich schon in sehr jungen Jahren mehr und mehr der Zugang zur Seele. Da Orientierungslosigkeit die Folge ist, weil der innere Kompass oft nicht mehr oder nur unzureichend zur Verfügung steht, suchen sich viele Orientierung im Außen. So verlernen wir immer mehr den Schatz, der in uns ist, unsere innere Stimme, die uns unsere ganz eigenen Wahrheit offenbart, zu fühlen und zu hören. Genau das ist aber die Grundlage dafür, wirklich authentisch unsere innere Wahrheit leben zu können.

 

Sprachunterricht der Seele

Bei mir war es zunächst einmal ein ziemlich langer Prozess, meine innere Stimme überhaupt wieder wahrzunehmen. Bevor ich dazu in der Lage war, gemäß meiner inneren Wahrheit zu leben, musste ich zuerst über einen langen Zeitraum „Sprachunterricht“ bei mir selbst nehmen, um zu verstehen, im wahrsten Sinne des Wortes, was meine Seele mir sagen möchte. Zu oft hatte ich ihre Stimme überhört und verschlossen, als dass sie mich im Alltag überhaupt erreicht hätte. Für mich war dieser Lernprozess nur in längeren Phasen des Alleinseins möglich, fernab von der Energie anderer Menschen und dem Lärm der Großstadt.

 

Die Angst, nicht geliebt zu werden

Die größte Herausforderung war und ist es für mich noch heute, gemäß meiner inneren Wahrheit zu leben, zu reden, zu wählen, mich vor meinen Mitmenschen so zu zeigen, wie ich wirklich bin. Genau dieser Punkt hat mich des Öfteren mit meinen tiefsten Ängsten konfrontiert – der Verlustangst, einhergehend mit der Angst, nicht geliebt zu werden. Abgelehnt zu werden für dass, was ich bin. Wie oft habe ich gewisse Dinge nur gesagt oder getan, weil ich Angst vor den Konsequenzen hatte, hätte ich tatsächlich nach meiner innersten Wahrheit entschieden. Wie oft habe ich mich angepasst, mein Bauchgefühl verdrängt und mich selbst verraten, weil da eine Vorahnung von Ablehnung im Raum schwebte. Und wie sehr habe ich mich dabei von mir entfernt.

 

Selbstannahme

Schlussendlich habe ich irgendwann verstanden, dass diese Angst ihren Ursprung vor allem darin hat, dass ich selbst so vieles von mir anlehnte. Nur das, was ich angenommen und begonnen habe, an mir zu lieben, kann ich auch heute völlig unverfälscht zeigen. Tatsächlich glaube ich für mich auch, dass es mir überhaupt erst möglich ist, weitgehend authentisch zu leben, weil ich meine Angst vor dem Alleinsein überwunden habe. Weil ich nicht mehr existentiell darauf angewiesen bin, dass mich meine Umwelt liebt oder mag. Weil ich diesen Job in großen Teilen für sie übernommen habe.

 

Die anderen so nehmen, wie sie sind

Das magische an dieser Entwicklung ist, dass ich nicht nur in der Lage bin, mich immer öfter so zu zeigen, wie ich bin, sondern dass es mir damit einhergehend auch viel mehr möglich ist, meinen Gegenüber genauso zu nehmen, wie er ist. Es ist erstaunlich, umso man sich selbst verstellt und verbiegt, um geliebt zu werden, umso mehr erwartet man auch unbewusst von seinen Mitmenschen, dass sie sich „zurückhalten“ oder „zusammenreißen“, damit sie in das eigene Bild eines Ideals passen. Erst seitdem ich mir langsam mehr und mehr die Freiheit zugestehe, mich genauso zu zeigen, wie ich just in diesem Augenblick BIN, ohne dem Kontext der Situation oder der Beziehung zu jemandem zu erlauben, mich zu korrigieren, umso mehr gestehe ich das auch meinem Gegenüber zu.

 

Es ist ein langer Weg für mich, den ich gefühlt gerade erst begonnen habe. Meiner inneren Stimme zu lauschen. Zu hören, welche Wahrheiten sie gerade formuliert. Welche Bedürfnisse meine Seele äußert. All dies ernst zu nehmen. Ernster, all dass, was gerade um mich herum ist. Wichtiger als meinen Verstand, der sich lautstark meldet, um mich wie eh und je stumpfsinnig funktionieren zu lassen – immer auf Beifall und Anerkennung fokussiert. Und dann zu dem zu stehen, was da gerade gelebt werden möchte. Es auszusprechen. Auch dann, wenn es gerade nicht angesagt ist. Mich meinen Ängsten zu stellen, was nun passieren wird. Die Kontrolle loszulassen. Es passieren immer wieder Wunder. Genau die Wunder, die sich einstellen, wenn man auf die Stimme seines Herzens hört, ohne Kompromisse.

 

Bilder: Blume –  Some rights reserved by FrAnthony; Meditation –  Some rights reserved by Nathan Stang Photography

         

9 Comments

  • Fred

    Liebe Jasmin,

    „willkommen im

    Liebe Jasmin,

    "willkommen im Club"

    Wenn ich ab und an innehalte und zurück blicke, kann ich sagen, dass ich den größten Teil meines Lebens an mir und dem was ich bin, fühle und von mir zeigen möchte, vorbei gelebt habe.

    Diese Zeilen hätten Wort für Wort von mir geschrieben sei können, denn da haben wir eine Analogie.

    Nachdem ich vor ca. 10 Jahren durch die gravierendste Krise meines Leben gegangen bin und danach begann über den Tellerrand zu schauen oder ganz langsam wach zu werden, sagte ich zu mir selbst, dass ich ab sofort authentisch sein will – keine Rollen und keine Masken mehr. Mit diesem Wunsch habe ich mich in eine Beziehung eingelassen. In den darauffolgenden 5 Jahren konnte ich feststellen, dass ich alles andere als authentisch war – ja, es kam mir zeitweise so vor, als ob ich in meinem Leben noch nie so weit von Authentizität entfernt war, als zu dieser Zeit. Später wurde mir klar, dass ich in dieser Phase nicht weniger authentisch war als zuvor, denn was sich verändert hatte, war meine Wahrnehmung. Gegen Ende dieser Phase las ich ein Buch von N.D. Walsh, in dem es hieß: Bei jeder Wahl die du triffst tritt erst einmal genau das Gegenteil in den Raum. In dieser Zeit konnte ich mich selbst überhaupt nicht leiden, bin aber da durch gegangen. Wieder durch ein Buch wurde mir gesagt, dass diese Thematik unmittelbar mit der Selbstliebe zusammenhängt. Anders ausgedrückt, ist die Liebe zu mir selbst die Kraft für Authentizität.

    Es gibt noch einen Punkt, der mir sehr geholfen hat authentischer zu sein und zu mir zu stehen, den ich auch gelesen hatte und in die Tat umsetzte. Der Rat besagte, dass ich abends vor dem Schlafen in den Spiegel sehen sollte, um mir zu sagen, dass ich völlig ok bin und dass ich mich liebe. Das wunderbare an diesem Ritual ist, dass ich das nicht einmal glauben muss, es hilft auch ohne diese Überzeugung.

    Noch etwas was ich bestätigen kann, ist der Umstand, dass wann immer ich der bin der ich bin, ich auch alle anderen, viel leichter als früher, so nehmen kann wie sie sind. Das gelingt mir nicht immer aber immer besser.

    Alles Liebe für euch

    Fred

     

    • Jasmin

      Danke

      du hast mich an etwas erinnert, was ich tatächlich wieder vergessen hatte: Mir selbst jeden Tag ein paar Minuten in die Augen zu sehen und mich dabei lieb zu haben. Ja es wirkt kleine Wunder.

      Am schwersten fällt es mir, in all den Situationen, in den ich mich nicht leiden kann,mich selbst verurteile (und das fällt mir mittlerweile fast immer auf) den Umschwung hinzubekommen und mich in meiner Wut, Agression und was auch immer da gerade ist, anzunehmen.  Ich erlaube mir mitterweile, diese Gefühle zuzulassen, aber es ist noch einmal etwas ganz anderes, sie auch anzunehmen.

      Und bezüglich dessen, andere so nehmen zu können, wie sie sind, das ist tatsächlich ein Gradmesser, inwieweit ich wieder von mir selber weg bin. Gehe ich in die Projektion, rege mich über Kleinigkeiten auf, verlange Anpassung und Zusammenreissen von meinem Gegenüber, ist es garantiert so, das ich mich in der letzten Zeit viel zu viel angepasst habe, zu oft meine eigenen Bedürfnisse übergangen habe und nun die Enttäuschung und Wut darüber auf meinen Gegenüber projeziere. Aber dieser Zusammenhang ist mir erst gestern beim Schreiben bewusst geworden und ich bin gerade total geflasht über die vielen Hinweise und Anstupser die uns unsere Seele im Alltag zukommen lässt….ich wünschte mir sehr, ich würde noch vielmehr hinsehen und zuhören können….

       

      Jasmin

      • private

        Kennt ihr …

        … eventuell auch das genaue Gegenteil?

        Also, dass Ihr so 100%ig authentisch und bei Euch seid, dass ihr das auch von den anderen verlangt? Ich erwische mich derzeit oftmals dabei, andere zurecht rücken zu wollen und ihnen ihre innere Stimme zu verdeutlichen. Wie ein Dolmetscher. Manchmal gelingt es mir, meinen Mund zu halten. Aber grad bei Personen die unmittelbar Teil meines Lebens und meiner Lebensumstände sind, da kann ich nicht schweigen. Und das zehrt so sehr an mir. Es wird mir gedankt und dann ist die Enttäuschung meinerseits wieder groß, wenn der andere mit der Kopfentscheidung dann ins Leere läuft…Und je öfter ich bei meinen Liebsten merke wie wenig sie bei sich sind, desto weiter entferne ich mich. Es ist regelrecht wie eine weiche aber effektive Schutzmauer um mich herum und ich kann nichts dagegen tun.Und meine innere Stimme sagt mir trotz aller Liebe zu meinen Nächsten klar und deutlich, dass sie sich lieber mit anderen Herzstimmen austauscht als mit Egostimmen. 

        Kennt das hier jemand?

         

        • Fred

          Hallo, unbekanntes privates

          Hallo, unbekanntes privates Wesen,

          so weit ich weiß ist keiner, von dem ich hier gelesen habe, erleuchtet und somit auch nicht 100% tig authentisch (Ich natürlich auch nicht).

          Kennt das hier jemand? Fragst du.

          Ja, ich kenne das nur zu gut, denn durch meine Biographie habe ich immer wieder versucht zu "missionieren" und anderen zu zeigen was "richtig" ist. Wenn der Andere mental oder gefühlsmäßig nicht folgen konnte/wollte, fühlte sich das zäh und schwer an und dann kam das zum Tragen, was Jasmin diesbezüglich schrieb. Ein Teil in uns will mit diesen Wesen nicht mehr so häufig wie bisher Kontakt haben. Nach meiner Erfahrung geht das auch nicht mehr, denn mit der Veränderung meiner Sichtweise, kamen auch ganz andere Menschen in mein Leben, mit denen ich mich austauschen konnte und wo das Geben und Nehmen oft ausgeglichen war – das fühlte sich stimmig an, insbesondere wenn das auf der Herzebene geschieht. Mein "Zauberwort" heißt : SEIN – LASSEN. Darauf gekommen bin ich durch einen Anspruch, der eines Tages in mir sehr laut wurde : ICH WILL SO GENOMMEN WERDEN,WIE ICH BIN. In diesem Zusammenhang, habe ich mir vorgenommen, dass auch ich die Menschen so nehmen will, wie sie sind (was mir nicht immer gelingt), aber die Bewusstmachung ist der erste Schritt für diese Entwicklung für mich.

          Zitat : Und je öfter ich bei meinen Liebsten merke wie wenig sie bei sich sind, desto weiter entferne ich mich.

          Nach meinem Empfinden, ist das die Folge des Umstandes, dass wir mit diesen Menschen keine gemeinsame Ebene betreten können, aber das muss nicht unbedingt so bleiben. Ich habe eine Tochter, die vor 2 Jahren mit all den Sichtweisen nichts anfangen konnte. Mit einem Mal begann sie über ihren Tellerrand hinaus zu schauen und heute bekomme ich oftmals Impulse von ihr, die mich in Erstaunen versetzen.

          Es gibt noch einen Aspekt, der für mich sehr hilfreich war in dieser Hinsicht. Zu versuchen, die Dinge nicht persönlich zu nehmen, sondern bei dem Anderen zu lassen – mir zu sagen, dass das nicht meins ist.

          Für mich bedeutete diese Entwicklung aber auch, dass ich einige Kontakte aufgab, wodurch Raum für ganz Neues entstand.

           

          Viel Licht und Kraft für dich

          Fred

             

          • private

            Sein-Lassen

            Lieber Fred,

            vielen lieben dank für die lieben Zeilen. Vor allem das mit dem "Sein-Lassen" lässt mich grad nicht los. Ich lasse "Sein" – immer wenn ich auch wirklich bin.

            Nur :

            "Sein-Lassen" gestaltet sich als schwierig in Interaktion mit anderen Personen, vor allem wenn ein Abhängigkeitsverhältnis im organischen Sinne besteht. Arbeit, Familie, Freundschaften, Beziehung. Wenn ich sein lasse, lasse ich aber eben das sein was nicht authentisch an dem anderen ist. Wie Du so schön sagtest: Wir können nicht immer 100% ig authentisch sein. Viele Menschen sind noch nicht einmal, sondern denken es nur von sich. Da liegt mein Problem.Denn wer nicht ist, kann auch mich nicht sein lassen. Das wiederum bedeutet für mich, dass ich Energie aufbringen muss um bei mir zu bleiben. Je weiter mein Gegenüber von sich entfernt ist, desto mehr Energie benötige ich zur Erhaltung der Wahrheit.  Diese Energie ist mir zu kostbar. Und sie wird immer kostbarer. Lasse ich meine Liebsten "sein" und entferne ich mich daraufhin gefühlsmäßig, so habe ich aber das Gefühl von "im Stich lassen". Sie können doch nichts dafür, sie haben ihre "eigene Wahrheit". Deshalb fällt es mir so schwer, sie nicht auf "das Wesentliche" hin zu weisen.

            Liebe Grüße 

            "die private" Jacqueline

          • Fred

             
              
            Liebe Jacqueline,
            ja,

             

              

            Liebe Jacqueline,

            ja, ich verstehe wovon du schreibst.

            In meinem Weltbild gibt es 4 Punkte, die Erstaunliches hervorbringen können.

            SEIN – LASSEN   LOS – LASSEN    VERANTWORTUNG    WERTEN/URTEILEN

            Es gibt eine Erde, aber über 7 Mill. Welten, denn jeder lebt in seiner eigenen Welt und Wahrheit. Da ich in meiner Welt und meiner Wahrheit bleiben will, versuche ich auch meine Mitmenschen in ihrer Welt und Wahrheit zu lassen, denn sie haben ja dasselbe Recht wie ich.

            Wenn die Welt und Wahrheit von meiner eigenen so weit entfernt ist, dass es keine Berührungspunkte gibt und sich das noch schwer und zäh anfühlt, lasse ich los.

            Es gab einen Tag in meinem Leben, da habe ich die volle Verantwortung für mich selbst und mein Leben übernommen. Wenn ich Verantwortung für einen anderen Menschen übernehme, ist das ganz allein meine Entscheidung, die ich aber nicht treffen muss.

            Für mich ist die Aufgabe, dass Werten und Urteilen aufzugeben, eine enorme Herausforderung und das jeden Tag. Indem ich mir selbst bewusst mache, wann und wo ich werte und urteile, bemerke ich natürlich auch wenn andere werten und urteilen, was sich nicht so toll anfühlt.

            Mir ist etwas aufgefallen – desto mehr Energie benötige ich zur Erhaltung der Wahrheit.

            Deine Wahrheit ist in dir und stimmt mit der Wahrheit deines Gegenüber nicht überein, aber deine Wahrheit bleibt dennoch bei dir, also frage ich, wozu Energieaufwand

            Lasse ich meine Liebsten "sein" und entferne ich mich daraufhin gefühlsmäßig, so habe ich aber das Gefühl von "im Stich lassen". Sie können doch nichts dafür, sie haben ihre "eigene Wahrheit".

            Genau das ist es, sie haben ihre eigene Wahrheit und entscheiden selbst ob oder wann sie dieselbe aufgeben oder verändern wollen. Nun haben wir die Möglichkeit, das zu akzeptieren oder diejenigen verändern zu wollen.

            Etwas muss ich noch loswerden. Meine Motivation, dir das zu schreiben, begründet sich nicht darin dein Weltbild oder deine Wahrheit verändern zu wollen, sondern aufzuzeigen, was mir geholfen hat und somit vielleicht Denkanstöße zu vermitteln. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass ich keinesfalls die o.g. 4 Punkte beherrsche, aber ich mache sie mir immer wieder bewusst, nicht zuletzt indem ich dir das hier schreibe und mir selbst etwas gutes tue.

            Alles liebe Fred

             

        • David

          Wahrheit/ Fragen

          Hallo Jacqueline & Fred,

          ein tolles Thema! Fred hat schon vieles dazu gesagt, was ich auch als sehr wichtig empfinde. Danke Fred, deine Beiträge freuen mich sehr!

          Auch wenn es vielleicht schmerzlich ist, hat jeder Mensch sein eigenes Tempo und findet seine eigene Wahrheit in seiner eigenen Zeit. Das kann bedeuten, dass manche Beziehungen uns für einige Zeit (oder auch für immer) nicht mehr dienen. "Sein lassen" kann dann auch "gehen lassen" bedeuten – oder selbst gehen. Wir können nicht wissen, welche Erfahrungen eine Seele noch braucht und in welcher Zeit sie ihre Lektionen lernen möchte.

          Ganz sicher ist es nicht unsere Aufgabe, irgendjemandem unsere/seine Wahrheit zu erzählen. In meinem Wissen verstößt es sogar gegen "kosmische Gesetze". Wenn jemand einen Standpunkt von uns möchte, dann fragt er danach. Ansonsten ist es nicht nur eine Verletzung der Integrität, sondern auch sinnlos, jemanden von etwas überzeugen oder über etwas belehren zu wollen – es wird schlicht kein Gehör finden.

          Das kann auf dem Weg in verschiedener Weise schwierig werden.

          Bekehren

          Am Anfang haben viele einen Bekehrer-Trip, oft weil sie selbst so in Leidenschaft brennen, für das, was sich für sie zeigt. Für mich heißt das, dass noch keine Erkenntnis des Herzens stattgefunden hat. Wenn ich etwas im Herzen als wahr erkenne, dann gibt es keine Notwendigkeit, jemanden von irgendwas zu überzeugen.

          Heilung

          Dann kann es sein, dass wir unser Leben neu ausrichten und Menschen, die uns nah sind davon irritiert werden und beginnen, ihr Zeug auf uns zu projizieren. Das kann schmerzlich sein, in meiner Erfahrung lag darin aber immer auch Heilung. Entweder weil der Konflikt mich einlud, eine tiefere Wahrheit über mich selbst zu erkennen, vielleicht alte Wunden anzuschauen, oder aber es brachte eine "Rekalibrierung" in Sachen Diplomatie und Mitgefühl.

          Feingefühl

          Es kann eine Versuchung sein, unsere Wahrheit immer und überall zu verkünden, auch ohne die Notwendigkeit zu bekehren, einfach weil man glaubt, dies zur Selbstbefreiung zu benötigen. In meiner Realität gibt es aber neben unserer Wahrheit auch eine "Wahrheit des Moments". Wenn zwei Menschen zusammenkommen und einander fühlen, entsteht ein "Drittes", ein gemeinsamer Raum, der seine eigene Wahrheit hat. Es benötigt Feingefühl, zu spüren in welcher Wahrheit man den anderen treffen kann, was wirklich gesagt werden möchte – und wie es gesagt werden möchte.

          Empathie

          Eine weitere Schwierigkeit trat dann später auf dem Weg auf, als ich lernte, Energie wahrzunehmen. Es ist als würde man zwei Gespräche führen: eines mit der Seele und eines mit der Person. Man kann fühlen, wo jemand in seiner Wahrheit ist, und wo er sich und andere belügt oder blinde Flecken hat.
          Auch hier kann die Versuchung bestehen, den anderen darauf aufmerksam zu machen. Aber dazu haben wir oft gar kein Recht. Wir helfen dem anderen auch nicht unbedingt, er wird sich oftmals vielmehr angegriffen fühlen und uns wegstoßen oder "zurückschlagen". Der andere hat das Recht, in Unwahrheit zu sein.

          Fragen

          Aber es gibt einen unschätzbaren Helfer: offene Fragen. Das sind Fragen, die man z.B. nicht mit "ja" oder "nein" beantworten kann, oder in sich schon manipulativ gestellt sind. Fragen, die den anderen einladen, mehr über seine eigene Wahrheit herauszufinden.

          Ich denke es steht uns nicht zu, anderen zu erzählen, was wir glauben, was wahr ist über eine Situation (außer er bittet uns darum). Aber wir können die Fragen stellen, die ihn vielleicht zu einer tieferen Erkenntnis führen können. Das Gegenüber kann dann frei entscheiden, wie tief er oder sie gehen möchte, wozu er bereit ist. Er geht soweit er möchte – und das sollten wir dann auch akzeptieren.

          Wir wissen so wenig, haben so wenig Überblick. Alles was wir tun können, ist bei uns bleiben und den natürlichen Fluss unterstützen. Ich habe es kürzlich erlebt, wie eine Freundin mich nach über einem Jahr (!) anrief und mir sagte: "Weißt du David, diese eine Frage, die du mir den Abend gestellt hat, hat mich nie wieder losgelassen. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht und heute kann ich es plötzlich sehen!"

          Ich glaube fest daran, allen Seelen ihre Integrität zuzugestehen. Und mir selbst einzugestehen, dass ich nicht weiß, was für jemand anderes besser ist, wann er etwas zu verstehen hat, was für ihn die Wahrheit ist, die er gerade benötigt. Das zu erkennen ist Demut und ich glaube auch ein bisschen Weisheit.

          Wenn wir wirklich Verantwortung für uns sebst übernommen haben, geschieht noch etwas anderes: Wir lassen auch allen anderen das Recht, für sich selbst verantwortlich zu sein. Wir müssen nicht mehr helfen, retten, belehren. Wir brauchen nur noch lieben.

          All das sind natürlich keine Regeln, und manchmal wird der Fluss uns andere Impulse geben. Zum Beispiel etwas in aller Deutlichkeit auszusprechen, den anderen zu konfrontieren. Trotzdem sind all dies Punkte, die mir sehr geholfen haben, andere mehr sein zu lassen und auf das zu hören, was wirklich passieren möchte.

          Alles Liebe
          David

           

          • gabriella_adora

            schönes thema. und deine

            schönes thema. und deine antwort bringt's – wie gewohnt von dir – sehr schön auf den punkt, david. danke. manchmal tut bestätigung einfach gut…

            von herzen alles liebe

            gabriella

  • Hei-Ke

    Schwierig…

    Liebe Jasmin,

    ich habe mich heute auf eurer Seite registriert, da ich es toll finde, was ihr hier macht und schon einiges gelesen hab, zu dem ich gerne etwas schreiben möchte.

    Nun stieß ich gerade auf deinen Artikel… Mir wird in letzter Zeit iauch so vieles klar – warum ich gewisse "Probleme" hab. Auch ich richte mich ständig danach, wie ich denke, für andere und meine Außenwelt sein zu müssen. Das ist so automatisiert, dass ich oft das Gefühl habe, ich kenne mich und mein wirkliches Wesen eigentlich überhaupt nicht. Ich weiß manchmal nicht, wie ich es je schaffen soll, denn auch ich brauche immer wieder (viel) Zeit für mich alleine, ohne andere Menschen, um mich mir wieder anzunähern, doch schon nach kurzer Zeit unter Mitmenschen hab ich mich wieder "verloren"… Ich möchte deshalb aber auch kein kompletter Einzelgänger sein, komme mir manchmal aber wie nirgends zugehörig vor – weil ich einfach mit den wenigsten Menschen zurecht komme… Eben mit mir SELBST nicht.

    Es ist für mich schwierig zurzeit… (und schon vermehrt seit letztem Jahr), doch wie du schreibst – es ist wohl ein langer Weg… Hinter all den Schichten, die von Kindheit an gebildet wurden, wieder zum Kern, zur Seele zurück zu kehren…

    Danke für eure Unterstützung in Form dieser Homepage,

    alles Liebe,

    Hei-Ke