Die Wanderung

Meine eigene Entwicklung von dem absolut unbewussten Schlafwandel hin zu mehr und mehr Bewusstsein ist wie eine Wanderung, die in einer dunklen Höhle begann.

Dort, von Finsternis umgeben fand ich tastend eine einzige Kerze, in deren Nähe eine Packung Streichhölzer lag. Lange Zeit strich ins Land, bis ich heraus fand, wie ich mit den Streichhölzern die Kerze entzünden kann. Unglaublich war der Jubel, endlich sehen zu können-ein tiefes Glücksgefühl begleitete die Entdeckung des kleinen Lichts. Lange Zeit lag ich einfach nur da und schaute, später begann ich, meine Höhle vorsichtig zu inspizieren. Auf einem meiner vielen Streifzüge fand ich heraus, dass meine Höhle einen Ausgang hat, den ich eines Tages zögernd und doch unglaublich neugierig mit kleinen Schritten passierte. Es gab ein Leben jenseits meiner Höhle! Schwindelerregende Freiheitsgefühle gepaart mit Todesangst ob des Verlusts von meiner bisherigen Realität begleiteten die ersten Schritt und doch wusste ich, ich würde nie wieder umkehren, ja es wäre mir nicht einmal möglich, wenn ich wollen würde. Wie von einem Magneten angezogen begann so meine Wanderung in die Welt jenseits der Welt, die ich bisher für die einzig reale gehalten hatte. Und so entdeckte ich voller Erstaunen meine Sinne, ich hörte Geräusche, deren Lieblichkeit alles übertraf, zauberhafte Gerüche erinnerten mich an etwas, was ich wusste und doch nicht greifen konnte, mein Auge erspähte die Unendlichkeit des Sternenhimmels und das Glitzern der Sonnenstrahlen in einem tiefblauen See. Und ich hatte Angst, unglaublich existenzielle Panik, war doch alles auf den Kopf gestellt worden, was ich zu wissen dachte. Der Boden, der feste Boden meiner sicheren Höhle, er war weg. Mit den Sinneseindrücken kam das Fühlen. Vielleicht war es auch schon immer da, nur gab es in meiner Höhle nicht viel zu Fühlen. Auch vermisste ich damals nichts, weil ich nichts anderes kannte. Nun aber fühle ich Liebe, wenn ich die Schönheit eines Sonnenuntergangs betrachte und die unendliche Weite der Sterne. Und ich spüre Schmerz, wenn meine Hand sich an den Dornen eines wunderschön duftenden Rosenbusches sticht, ich bin schon oft hingefallen auf meinem Weg und hatte blutende Wunden an den Knien, weil ein Sommergewitter meinen Sandweg in sekundenschnelle in eine rutschige Matschwüste verwandelt hatte.

Diese Wanderung ist mein Erwachen. Bis zum heutigen Tag setze ich einen Fuß vor den anderen, begegne in traurigen und schönen Momenten meinem eigenen Schmerz und ebenso meiner tiefen Schönheit. Mit jedem Schritt, den ich gehe, kommen Erinnerungen zurück, Erinnerungen an das, was ich war, bevor ich mich in der Dunkelheit meiner Höhle wiederfand. Kleine Sequenzen, die mich oft überrascht ereilen, eine tiefe Sehnsucht nach Ganzheit, Vollkommenheit und Unendlichkeit. Erinnerungen daran, was wir alle sind, an das Licht und die Liebe, an das Helle und das Heile, dass auch in den düstersten Stunden unseres menschlichen Seins in uns ist. Diese Erinnerungen wurden mit der Zeit wie eine Nabelschnur, die sich langsam wieder festigt. Eine Nabelschnur zu meiner, unserer eigentlichen Essenz. Um so mehr in mir erwacht, umso bewusster ich werde, umso klarer kann ich fühlen, dass alles in uns ist. Jetzt, hier, in jeder einzelnen Sekunde. Wie jede Idee von Mangel schon bei dem Entstehen des Gedanken durch uns selbst erfüllt werden kann. Diese göttlichen Energien, das sind wir. Es ist immer um uns und gleichzeitig in uns, wenn wir wollen. Wir können uns immer damit verbinden. Oft vergesse ich das. Aber wenn ich mich erinnere und mich verbinde, fühlt es sich so an, als ob ein weiteres Puzzleteil meiner Seele zurückkehrt. Es ist ein nach-Hause-kommen. Und es ist ein Stück mehr heil, ganz werden. Wann das Gefühl entsteht, festzustecken, überfordert oder verlassen zu sein – wenn ich mich bewusst mit dieser göttlichen Energie verbinde, geschieht allein dadurch Heilung.

Es ist soviel einfacher, als wir oft denken. Jede Illusion von Raum und Zeit gehen zu lassen und mit dem Herzen zu begreifen, dass alles da ist und wir entscheiden, ob und wann wir uns dafür öffnen. Wir sind Götter. Wenn wir es zulassen.  

 

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