Loslassen: Sich dem Fluss des Lebens hingeben
Vertrauen in das Leben ist nicht immer einfach. Unser Verstand will Sicherheit, die Seele neue Erfahrungen und Wachstum. Sich dem Neuen, Unbekannten zu öffnen, löst nicht selten Angst aus. Dabei ist das Festhalten am Alten eine der sichersten Methoden, Leid ins eigene Leben zu bringen.
Die leise Stimme des Herzens
Ob es eine Beziehung ist, die uns nicht mehr dient, alte Rollen und Verhaltensweisen, ein Job oder ein Glaubensmuster: Das Alte loszulassen, um sich dem Neuen zu öffnen, ist oft eine große Herausforderung. Aber wir sind hier, um Erfahrungen zu machen, zu wachsen, freier und bewusster zu werden.
Unser Herz führt uns mit Sehnsüchten und einer leisen Stimme auf dieser Reise, es verbindet uns mit dem natürlichen Fluss des Lebens, der durch jeden Moment hindurch spürbar ist.
Diesem Fluss zu vertrauen, fällt dem Verstand nicht leicht. Es ist seine Aufgabe, unser Überleben zu sichern und er reagiert in dieser Funktion auf vieles Unbekannte mit blanker Furcht. Haben wir doch immerhin mit den alten Verhaltensweisen bis hierhin überlebt! So hinderlich sie unserem Wachstum auch sein mögen, aus der Sicht des Verstandes sind sie allein schon deshalb ein Erfolgsrezept.
Der Verstand kann nicht begreifen, wohin der Energiefluss des Lebens uns tragen will. Er mag das eine Ufer nicht loslassen, um zum anderen zu gelangen. Phasen von Chaos und Schwebe sind für ihn die nackte Panik. Aber ich habe auf meinem Weg festgestellt, dass ich vor einem Entwicklungssprung und Neubeginn oft durch eine Zeit des Chaos ging, weil das Neue erst in mein Leben treten konnte, wenn das Alte von mir abgefallen war. Nicht selten hatte ich um Verhaltensweisen und Rollen eine Anhaftung, eine Identität gebildet, so dass sich das Loslassen fast anfühlte, als würde ich mich selbst verlieren oder ein Teil von mir sterben. In diesen Zeiten auf das Herz zu hören, sich ganz ins Vertrauen fallen zu lassen und sich dem Leben hinzugeben, erfordert Bewusstheit und Sanftheit mit sich selbst.
Vertrauen ist für mich ein ziemlich zentrales Element jeder spirituellen Reise. Vertrauen darin, dass der Fluss des Lebens sich nicht irrt, dass auch die seltsamsten und dunkelsten Erfahrungen einen tiefen Sinn haben und mir etwas über mich selbst zeigen können. Es braucht Vertrauen, mich all diesen Erfahrungen hinzugeben und das durch sie geschehende Wachstum zuzulassen.
Mir scheint der Verstand hegt ein tiefes Mistrauen gegen dieses Leben, für das es keine Bedienungsanleitung und keine Straßenkarte gibt – denn jede Reise ist zutiefst individuell. Unser Instinkt will sie kontrollieren, festhalten, konservieren und ordnen. Nur unser Herz rät uns leise, einfach loszulassen.
Wir können nichts festhalten
Diese physische Welt ist vergänglich, sie ist ein Strom verblassender Erfahrungen. Wir sind nicht hier, um an irgendetwas oder irgendjemandem festzuhalten. Das Leben folgt seinem eigenen Rhythmus, seinen eigenen kleinen Zyklen von Geburt und Tod, Anfang und Ende. Unser Verstand versucht etwas Festes zu kreieren in etwas, das eigentlich ein permanentes Fließen ist, er versucht zu klammern, zu fixieren, festzuhalten. Wenn wir das, blockieren wir womöglich den natürlichen Fluss des Lebens.
Wir sind hier, um Erfahrungen zu machen – und zwar meist viele, nicht für ein Leben lang die gleichen. Das Leben ist unser Spiegel, und so wie wir uns verändern, verändert sich auch unserer Leben, unsere Beziehungen.
Besonders in letzteren, war das nicht immer einfach für mich – weder selbst zu gehen, noch andere gehen zu lassen. Aber meiner eigenen höchsten Wahrheit zu folgen, bedeutet, auch andere Menschen ihren Weg in Freiheit gehen zu lassen, es zu begrüßen, wenn sie ihrer Energie folgen und ihre Erfahrungen machen. Es bedeutet, wahren Ausdruck und Wachstum anzuerkennen, wo immer ich ihn sehe. Das ist dort schwierig, wo ich noch nicht fließe. Erst wenn ich nichts mehr festhalten und kontrollieren will, kann ich Menschen erlauben, frei in mein Leben zu treten und es wieder zu verlassen, wenn ihr Herz sich nach anderen Erfahrungen sehnt. So wie ich es auch mir selbst erlaube, weiterzugehen, wenn es an der Zeit ist, wie ich es mir erlaube, meine tiefste Wahrheit auszudrücken und meinen Sehnsüchten zu folgen. Was wir kontrollieren wollen, das können wir nicht lieben.
Mit der Zeit entdeckte ich, dass ein Teil von mir sehr wissend ist, auf eine dem Verstand höchst mysteriöse Weise. Ich lernte, dass sich die Intuition nicht irrt, dass die leise Stimme des Herzens am Ende doch meist Recht behält – egal wie verrückt sie mir oft erscheint, egal welche Angst ihr Rat in mir auslöst. Und ich lernte auch, dass ihr nicht zu folgen fast immer Schmerz bedeutete. So begann ich, dieser leisen Stimme zu vertrauen und immer mehr auf sie zu hören, ihr zu folgen, selbst ins Unbekannte. Ich vertraute darauf, nicht immer alles sofort verstehen zu müssen oder zu können, und entdeckte, dass die Bedeutung meiner Schritte sich dann doch meist sehr bald zeigte, wenn ich nur den Mut fand, sie ins Ungewisse zu tun.
Bald akzeptierte ich: Ein Teil der Angst wird immer da sein, sie ist in sich unschuldig, sie ist nur eine Reaktion auf das Unbekannte. Sie ist das Tor und die Brücke zu einer größeren Vision von mir. Wenn ich mich neuen, tieferen Erfahrungen von Liebe, Vertrauen, Licht und Freude in meinem Leben öffnete, führte der Weg dahin nicht selten durch die Angst.
Spielerisch werden
Für unseren Verstand geht es ums Überleben und das Leben ist eine verdammt ernste Sache. Für die Seele ist es nur ein Spiel. Letztlich ist nicht mal das Überleben von Bedeutung. Für sie sind Erfahrungen einfach Erfahrungen. Die Sehnsüchte unseres Herzen weben automatisch jene Geschichte, die wir in diesem Leben erfahren wollen. Sie bringen uns automatisch mit jenen Menschen und Situationen zusammen, in denen wir lernen und wachsen und sie führen uns ebenso automatisch aus den Situationen heraus, in denen die Lektion gelernt wurde. Aus unserer Tiefe sind wir die Schöpfer unseres Lebens.
Mit Akzeptanz, Vertrauen und einem ständigen Loslassen fiel die Schwere des Lebens immer mehr ab. Ich lernte, die Fahrt zu genießen und verstehen, dass ich sie nie verstehen würde. Ich öffnete uns der ganzen Hoffnungslosigkeit des Menschseins und entdecken dahinter den kosmischen Witz, die ganze Bedeutungslosigkeit und heilige Tiefe des Lebens. Es ist neue Leichtigkeit, ein herzliches Lachen über dieses göttliche Spektakel.
Mit dieser Leichtigkeit gelingt uns zunehmend nicht mehr, uns selbst allzu ernst zu nehmen. Mit dieser spielerischen Offenheit laden wir Zufall und Gnade ein in unser Leben. Wir halten unsere Ziele zart im Herzen, bereit sie loszulassen, wenn uns der Fluss woandershin tragen möchte. Wir öffnen den Raum in unserem Leben, erlauben den Dingen in ihm aufzutauchen und aus ihm zu verschwinden. Immer mehr werden wir selbst dieser Raum, immer tiefer sinken wir in unser Herz, beginnen wir, dem Fluss der Energie, die sich durch uns ausdrücken möchte, bedingungslos zu folgen. Wir erlauben es dem Leben, seinen Tanz mit uns zu tanzen.
Bilder: Wasserlauf: © Burkhard Trautsch / aboutpixel.de; Über den Wolken: © kapalua / aboutpixel.de; Schwimmend auf dem Fußweg: © Patrick Hollerbach / aboutpixel.de
12 Comments
Karelisa
das spricht mir aus dem Herzen…
ich freue mich heute diese Seite gefunden zu haben! das Jahr klingt aus und ich habe einen Schatz gefunden der mich ins nächste Jahr begleiten wird!
Danke für diese vielen wunderbaren, herzerfrischenden Gedanken, Worte und Sichtweisen, es ist das was ich seit einiger Zeit ebenfalls fühlte. Und auch die eigene Angst immer wieder zu umarmen war ein ständiges Auffordern und Innehalten auf dem Weg.
Wir waren getrennt, wir waren allein, aber wir gingen immer auf dem richtigen Weg weil wir auf unser Herz hören können.
Dieser Weg führte mich nach Griechenland wo ich all ein leben lernen durfte. Hier in sehr viel Stille und Natur werden Energien spürbar… die Stärke und Freude die wir in uns finden, ist mit nichts zu vergleichen.
Herzlichst Karelisa
David
Danke
Hallo Karelisa!
Vielen Dank für deine lieben Worte, die viel Wärme ausstrahlen. Wir freuen uns auch, dass du diese Seite gefunden hast 😉
Es tut gut, festzustellen, dass Menschen in Resonanz sind mit dem, was ich so klar in meinem Herzen fühlen kann und für ihren Weg Mut und Bestätigung in den Artikeln finden können. Dafür sind sie geschrieben.
Vielleicht magst ja auch du etwas über deinen eigenen Weg teilen und dein Wissen weitergeben. Wir haben hierzu gerade ein Forum eingerichtet:
http://den-weg-gehen.de/forum
Es ist noch ganz leer, aber wir werden es ab Januar intensiv nutzen.
Nochmals lieben Dank und bis bald!
David
Ina
Hallo,
das ist ein
Hallo,
das ist ein wundervoller Text und ich habe schon so lange nach solchen Informationen gesucht die ich jetzt hier auf deiner Seite finden durfte lieber David. Danke!
Das alles in perfektion für uns kreiert wurde konnte ich nach ein paar schmerzhaften Erfahrungen auch feststellen. Ich habe seit meiner Jugend mir nie etwas sehnlicher gewünscht als einen festen Freund. Habe mehrfach Beziehungen begonnen die nie länger als ein paar Wochen hielten. Der Wunsch danach war so groß,dass ich das alleinsein nicht akzeptieren konnte.
Als ich das letzte mal heftig verletzt wurde,brach in mir eine Welt zusammen und ich begriff dass es für mich nicht sein sollte, es gehörte einfach nicht zu meinem leben,zu mindest jetzt noch nicht. Nach ein paar Selbstgesprächen ließ ich los,einfach damit es mir besser ging. Die Sehnsucht war plötzlich weg und ich sah die Vorteile darin single zu sein und auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Ich lebte ca 8Monate in vollkommener Zufriedenheit.
Dann kam jemand,den ich ganz toll fand und er bemühte sich um mich. Wir haben uns sofort verliebt,das war eine wunderschöne Zeit. So eine vertraute Beziehung kannte ich vorher nicht. Er ist perfekt für mich,mein Seelenverwandter. Und nun(2Jahre später) sind wir verlobt und heiraten im Sommer.
Ich machte sehr oft die Erfahrung, das Wünsche erst in Erfüllung gingen wenn man beschließt auch ohne die Erfüllung dieses Wunsches unverkrampft weiter zu leben, total paradox!
Also los lassen und dem Leben vertrauen und das was du brauchst wird dir geliefert werden. Und wenn nicht,dann hat es das Schicksal so für dich entschieden. Es hat eine Grund!
LG Ina
David
Loslassen
Hallo Ina!
Vielen Dank, dass du deine Erfahrung geteilt hast, ich denke, sie ist sehr wertvoll für andere Leser.
Meine Erfahrung deckt sich mit deiner: Viele Dinge in meinem Leben sind erst dann passiert, wenn ich das Bedürfnis nach ihnen in mir selbst erfüllen oder mein Suchen danach loslassen konnte.
Deine Geschichte ist ein wundervolles Beispiel dafür, wie das Leben unser Inneres spiegelt: In dem Moment, wo du das Alleinsein akzeptieren konntest und mit dir selbst glücklich warst, konnte auch jemand im Äußeren mit dir glücklich sein.
Es ist überhaupt nicht paradox! Es ist einfach wie die Schöpfung funktioniert. Für mich war das ein ungeheurer Perspektivwechsel, zu erkennen, dass das Äußere nur ein Spiegel ist (immer!) – plötzlich ergab meine Geschichte, mit all den schönen und all den scheinbar grausamen Erlebnisse perfekten Sinn. Als ob ein Puzzle sich zusammenfinden würde, leuchtete alles, was vorher konfus und unzusammenhängend erschien auf einmal in all seiner Perfektion auf. Es versetzt mich noch immer in Staunen.
Alles Liebe – und eine schöne Heirat 😉
David
Ina
Wie schön. Danke David,
Wie schön. Danke David, auch für dich alles Liebe 🙂
Ina
Jasmin
Magisch
Liebe Ina,
vielen Dank für Deine Offenheit. Ich habe eine sehr ähnliche Erfahrung mit dem Thema Beziehungen gemacht. Tatsächlich könnten Deine Worte meine sein. Mein Leben lang war ich auf der Suche nach einem Partner, in der Hoffnung, durch diesen eine nicht weiter definierte Leere in meinem Leben zu füllen. Erst als ich mich wirklich auf das Alleinsein einlassen musste, weil mich das Leben dazu gezwungen hat, habe ich gefühlt, dass diese Leere tatsächlich nur meine Sehnsucht nach mir selber ist. Danach, dass ich mich anschaue, mich liebe, mich annehme, mit mir kommuniziere und für mich da bin, meine Bedürfnisse wahr nehme und achte. Es war lange Zeit so, wie Du es beschreibst, die Absolute Vermeidung des Alleinseins, damit ich mich nicht selbst anschauen muss und damit war die Enttäuschung in der Beziehung vorprogrammiert. Erst als ich eine Weile allein war, den zwanghaften Gedanken an eine Partnerschaft aufgegeben habe und mit mir einen wirklichen Frieden erlangt habe, kam mein jetziger Partner in mein Leben – nicht durch Suchen wie all die Male zuvor, sondern durch Begegnung, zum richtigen Zeitpunkt.
Auch ich spüre eine nie zuvor dagewesene Qualität in dieser Beziehung, weil ich weiß, ich fühle, was ich mir selbst geben kann – Liebe und Annahme. Auch wenn mich diese Beziehung hin und wieder an meine Schmerzen und die Wunden meiner Seele führt, so kann ich doch die Erwartung, dass mein Partner mir meinen Schmerz und meine Leere nimmt, loslassen, weil ich weiss, dass all das mein Job ist. Ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal in einer Beziehung einem Menschen auf Augenhöhe begegne und das ist etwas wunderschönes.
Tatsächlich hat mich diese elementare Erfahrung dazu gebracht, viele Dinge, die ich mir heute sehnlichst wünsche loszulassen, weil ich erlebt habe, dass alles, was ich mir im Aussen wünsche, zuerst in mir entstehen muss – und kann. Einfach – magisch!
Alles Liebe für Dich, für Euch!
Jasmin
Ina
🙂
Hey Jasmin,
ja es wirkt wie Magie, du sagst es….. aber erst jetzt, wenn wir anfangen zusammenhänge zu erkennen.
David schrieb, das tägliche Leben und Beziehungen seien die größten Lehrmeister. Und er hat recht. Und ich verstehe dich wenn du sagst die Beziehung bringt dich an deine Wunden! Mir geht es nicht anders:-) manchmal glaube ich so sehr von ihm verletzt worden zu sein dass die Beziehung nicht weiter gehen kann. Aber wenn die Wut und die Emotionen abgeklungen sind, sehe ich alles in einem ganz anderen Licht. Wir streiten uns so heftig dass ich denke ich ertrage das nicht, bei der Versöhnung aber empfinde ich nur noch Liebe die aber genauso stark und leidenschaftlich ist,wie der Streit zuvor.
Dieses ständige pendeln zwischen Wut und Liebe hat mir beigebracht gelassener und sanfter mit allem um zu gehen,(und das hat gedauert)denn er hat mir sehr viel bei gebracht und da kommt auch noch einiges…. Ich kann dir ein kleines Büchlein zu Thema Wiederstand empfehelen,dass mir sehr geholfen hat: Der Erleuchtung ist es egal wie du sie erlangst. Von:Thaddeus Golas.
Lasse dich vom Leben führen liebe Jasmin 🙂
Liebe Grüße, Ina
David
Beziehungen
Ich habe übrigens auch einen Artikel geschrieben WIE die Beziehung in meiner Perspektive ein Lehrmeister sein kann 😉
Er ist hier:
http://www.den-weg-gehen.de/die-heilende-beziehung-hinter-den-spiegeln-und-projektionen
Alles Liebe!
David
Fred
Liebe Ina,
ich will mich bei
Liebe Ina,
ich will mich bei dir bedanken, hast du mir doch einen Impuls geschenkt, der genau zur rechten Zeit erscheint – offenbar so etwas wie eine Synchronizität.
Vor ca. 2 Jahren las ich das Buch "Der Erleuchtung ist es egal wie du sie erlangst". Von:Thaddeus Golas.
Der Inhalt hat mich fasziniert und in dem darauffolgendem Jahr, habe ich es noch 2 mal gelesen. Offenbar hat sich diesbezüglich etwas in mir manifestiert, denn ich bemerkte, dass ich immer gelassener wurde und sich meine Widerstände minimierten.
Nun ist das schon eine Weile her und ich stecke in einer Situation, in der ich früher ausgeflippt wäre. Heute kann ich bemerken, dass mich das nicht so sehr aus meiner Mitte bringt. Die Erklärung für mich ist, dass sich wohl meine Widerstände, zu einem Teil aufgelöst haben. Da ich aber dieselben, in reduziertem Maße, immer noch wahrnehme, ist dein Hinweis auf dieses Buch, genau das, was ich in dieser Phase brauche. Ich habs mir aus dem Regal genommen und begann es ein weiteres Mal zu lesen, wobei mir der Gedanke kam, mich bei dir dafür zu bedanken.
Alles was Liebe ist für dich
Fred
David
Widerstände
Fred,
ich fühle mich bewegt, dir zu sagen, dass ich in vielen deiner Beiträge eine Tendenz zum "nicht-fühlen" wahrnehme. Akzeptanz, Sein-lassen, nicht mehr zur Verfügung stehen und wie die Liebe handeln – das klingt manchmal wie ein Konzept.
In meiner Wahrheit gibt es mit Widerständen genau eine Sache, die man tun sollte: Mitten rein gehen, fühlen. In diesen Widerständen ist einerseits ein Schmerz, andererseits ein Geschenk verborgen, das wir nur bergen können, wenn wir mitten hinein gehen.
Man kann alle Gefühle und Widerstände wegakzeptieren, landet aber irgendwann an einem Punkt, an dem man alles überhaupt nur mehr oberflächlich fühlt und die Leidenschaft, die Herzwärme, die Feinfühligkeit und das Feuer für das Leben langsam einer spröden Gleichgültigkeit weichen. Ich weiß nicht, ob das bei dir der Fall ist, aber die Gefahr dazu besteht oft.
Ich hatte vorgestern ein Erlebnis, in dem ich im Äußeren mit etwas konfrontiert wurde, von dem ich ahnte, dass es mich betreffen könnte, dass hier eine starke Botschaft für mich enthalten war. Allein, ich spürte überhaupt nichts! Völlige Gelassenheit und Gleichgültigkeit, keinerlei Emotion, kein Widerstand in meinem Körper. Aber ich merkte auch, dass ich nicht wirkich lebendig war und ich merkte, dass das Leben mir etwas zu sagen versuchte. Also lies ich meine Wahrnehmung immer feiner werden und fand eine ganz leise Ablehnung oder Wut. Nur eine Ahnung, ganz weit weg, ganz leise. Ich spürte ihr nach – und ehe ich mich versah war ich in Tränen, schrie in tiefem Schmerz, sah unzählige vergangene Leben, durchlebte sie. Eine ganze Nacht und einen ganzen Tag habe ich nur geweint.
Seither fühle ich mich wie 50 Kilo leicher, mein Herz ist offener, meine Energie höher. Es war eine große Befreiung.
Die Sache mit wirklich großen Sachen ist, dass wir sie hinter einer Mauer aus Verleugnung verstecken, das wir sie sehr gut weggeschlossen haben und alles benutzen – Spiritualität eingeschlossen – damit das auch so bleibt.
Ich wollte das nur teilen, weil das Thema Akzeptieren immer wieder auftaucht. Mein Rat ist: Mit dem sein was ist, auf die Gefühle achten, die das Leben auslöst. Wirklich damit zu sein. Wirklich fühlen – das ist für mich Akzeptanz.
Alles Liebe
David
Cristian
Akzeptanz und das Fühlen
Hallo Fred,
ich möchte zu deiner Antwort und zu der darauf folgenden Antwort von David meine eigene Erfahrung hinzu geben.
Fred, ich empfinde es teilweise wie du: manchmal merke ich auch, dass Situationen die mich früher ausflippen lassen hätten, heute nicht mehr diese Wirkung auf mich haben. Eine Gelassenheit ist inzwischen da, die wohltuend ist, die mir erlaubt mich mit einem gewissen Abstand zu betrachten und selbst wahrzunehmen.
Auch ich habe in meinem Leben viele Bücher gelesen und lese sie nach wie vor immer weiter, denn das, was andere mal erlebt und empfunden haben, gibt mir immer wieder auch Hinweise die mir helfen mein eigenes Verhalten in manche Situationen besser zu verstehen.
So könnte auch ich manches von mir (und was mit mir passiert ist) akzeptieren und annehmen. Das ist ein Teil des Weges und für mich hat er funktioniert und mich weiter gebracht, bis zu einem gewissen Punkt.
Jetzt wo ich lese, was David uns aus seiner Erfahrung mitteilt, muss ich dem zunicken und merke noch deutlicher diesen Moment, ab wann es in dieser Weise, nur mit dem Akzeptieren und Annehmen, bei mir nicht mehr weiter ging. Mir wird es klar, dass ja, ich konnte auch nur dann weiter gehen, als ich mich in den Schmerz, den ich bereits "akzeptiert" und "angenommen" und "erklärt" hatte, mit meinem Herz hineinbegeben habe und ihn auch wirklich, in seiner ganzen Scheußlichkeit, mit Wutanfällen und Trännen gefühlt habe. Erst dann konnte ich ihn auch integrieren und anerkennen, dass er ein Teil von mir ist, von meiner Erfahrung als Mensch, und dass er mir letztendlich sehr wertvoll und einmalig ist.
Und das ist für mich der weitere Teil des Weges geworden …
Ich danke euch beiden, Fred und David, für diese Erkenntnis.
Viele Grüße
Cristian
Fred
Hi David , Hi Christian,
ich
Hi David , Hi Christian,
ich hab heute die Zeit, in die Stille zu gehen und werde dabei die Sichtweisen von euch beiden anschauen und nachspüren, was geschieht. Zunächst einmal bin ich dankbar, wenn ich Perspektiven präsentiert bekomme, die ich vorher vielleicht so nicht gesehen habe.
In dem genannten Buch konnte ich lesen, dass mit dem Aufgeben von Widerständen, sich mein ganzes System anhebt, was ich bestätigen kann. Aufgrund eurer Beiträge, frage ich mich nun, ob ich da was verdränge oder mir etwas vormache, denn ich fühle mich ziemlich lebendig und meine Leidenschaft (wofür auch immer) hat sich nicht verabschiedet. Bei den Dingen, die in mein Leben treten, mit denen ich konfrontiert werde, stelle ich immer die Frage, was das mit mir macht und achte auf die Gefühle, die da aufsteigen und fühle mich seit geraumer Zeit recht wohl. Dessen ungeachtet wische ich das nicht vom Tisch, was David geschrieben hat, sondern ziehe in Erwägung, dass wenn ich noch tiefer gehe, sich die Dinge anders darstellen, wie es bei dir David geschah. Es wird mir mit Sicherheit nicht schaden, wenn ich diesbezüglich mit mir in Klausur gehe und nachspüre, was wirklich ist.
Also noch einmal danke euch beiden.
Fred